Elmer Diktonius
Bürger der Republik Finnland
Novelliade
Übersetzt aus dem Schwedischen von Daniel Sägesser, Bern/Tallinn
Baltische Bibliothek im BaltArt-Verlag – Band VI
II
Deutsche Erstausgabe, 1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-9523109-9-1
Preis: 15 CHF / 15 € (plus allfällige Versandkosten)
Titel des schwedischen Originals: «Medborgare i republiken Finland»
© Silja Kaunisto, Espoo
Nachwort: Leena Maissen, Basel
Lektorat: Markus Roduner, Vilnius
Korrektorat: Arnd Mathias Schuppius, Burg/Dithmarschen
Umschlag-Illustration: Martynas Vilimavičius, Vilnius
Buchgestaltung: Laura Vilimavičienė, Vilnius
Druck: UAB Agentūra «Jungtinė spaudos paslaugos», Vilnius
Elmer Diktonius ist einer bedeutendsten Autoren Finnlands. Mit «Bürger der Republik Finnland» publiziert der BaltArt-Verlag 6 Novellen des grossen finnlandschwedischen Modernisten.
Der BaltArt-Verlag gibt in seiner Baltischen Bibliothek Bücher aus dem Ostseeraum heraus. Erstmals veröffentlicht er nun ein Werk aus Finnland. Der teilweise in Tallinn lebende Berner Journalist, Historiker und Germanist Daniel Sägesser hat die Novellensammlung aus dem schwedischen Original übersetzt.
Die Übersetzung und Publikation dieses Buchs wurde durch FILI Finnish Literature Exchange gefördert.
Das Buch
Ja, das Leben ist ein Elend – und oftmals makaber. Schön sind die sechs Novellen denn auch nicht, die der finnlandschwedische Autor Elmer Diktonius 1935 unter dem Titel «Medborgare i republiken Finland» veröffentlichte. Vielmehr gehen die kurzen Texte unter die Haut, sowohl was Sprache und Inhalt als auch was ihre sozialkritische Intention betrifft. Nicht von ungefähr bezeichnet Diktonius dieses Werk als «Novelliade», was für die Einheit und Kompaktheit steht, die ihm innewohnen: Auch wenn die sechs Geschichten völlig unterschiedliche Existenzen und Schicksale schildern, so ist ihnen doch vieles gemeinsam: Die Figuren, ob Faschist, Verdingbub, als ewig Rote abgestempelte Mutter und Sohn, verrückter Armeleuteschuhmacher, Trinker oder Greis, sind alle Aussenseiter, ja Verlierer – aber eben auch finnische Staatsbürger, die Diktonius unerschrocken, einfühlsam und präzise beobachtend porträtiert, dabei tief in ihr Wesen eindringt, sie in ausserordentlichen, ja schicksalsträchtigen Situationen zeigt.
Auf wenigen Seiten breitet er so ganze Leben aus und demaskiert anhand dieser die vorherrschenden politischen und gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten. Dabei bedient er sich einer durchweg deftig-ausdrucksstarken, ungeschminkten und variantenreichen Sprache und schafft damit Bilder von plastischer Drastik und einen Erzählfluss mit atemberaubendem Sog.
Die finnisch-schweizerische Kulturpersönlichkeit Leena Maissen-Visapää, hat das Nachwort zu dieser Ausgabe verfasst.
Besprechung im Jahrbuch für finnisch-deutsche Literaturbeziehungen, Nr. 48, 2016
Der Autor
Der finnlandschwedische Dichter und Komponist Elmer Rafael Diktonius wurde 1896 in Helsinki geboren und verstarb 1961 in Sipoo (Finnland). Er alterte früh, seine späteren Lebensjahre waren von Alkoholismus begleitet, auch erkrankte er an Alzheimer. Diktonius gilt – auf derselben Stufe wie Edith Södergranstehend – als einer der bedeutendsten Vertreter des finnlandschwedischen Modernismus. Er war zweisprachig, schrieb sowohl auf Schwedisch als auch auf Finnisch und liess jeweils Elemente der einen Sprache in die in der anderen Sprache verfassten Texte einfliessen.
Aus der Feder des Avantgardisten stammen elf Gedichtsammlungen, der Roman «Janne Kubik» (1932) sowie zwei Novellenbände mit dem Titel «Medborgare i republiken Finland». Der erste erschien 1935 und liegt hier erstmals in deutscher Übersetzung vor. Der zweite wurde 1940 veröffentlicht.
Diktonius war Sozialist, revolutionär ist auch sein schriftstellerisches Werk, geprägt von expressionistischem Geist und der Intention, die bürgerlichen ästhetischen Konventionen sowohl sprachlich als auch thematisch zu durchbrechen. Der Autor beeindruckt mit einer immensen Wortmächtigkeit und virtuosen Sprachschöpfung, wobei er oft auf die Kraft der gesprochenen Sprache setzt.
Er trat auch als Übersetzer, Kritiker und Mitherausgeber der Zeitschriften «Ultra» und «Quosego» her- vor, welche den finnlandschwedischen Modernisten eine bedeutende Plattform boten.
In jüngeren Jahren war Diktonius mit dem späteren sowjetischen Politbüromitglied Otto Ville Kuusinen befreundet.
Als Bertolt Brecht 1940/41 im Exil in Finnland weilte, gehörte Elmer Diktonius zusammen mit Hella Wuolijoki, Olavi Paavolainen und anderen zu dessen Freundeskreis.
Bertolt Brecht über Elmer Diktonius:
«DIKTONIUS, der finnische horaz, holt mich ab in eine bierstube, er ist kurzleibig und vierschrötig, wie mit der axt aus einer eichenwurzel gehauen, sein eigenes wandelndes monument. er hat eine kleine staatspension und lebt von zeitungsartikeln. stets bringt er etwas mit, wenn er kommt, eine zigarre oder süßigkeiten für barbara. er lacht gern und macht gern kleine bösartige, aber humoristische bemerkungen, knapp und gut geformte. im ganzen könnte er ein seekapitän sein.»
Bertolt Brecht, 30. 6. 1940
Arbeitsjournal, 1938 bis 1942
Foto: Privatarchiv Silja Kaunisto, Espoo
Elmer Diktonius
Wikipedia Deutsch
Textauszug
Ein breiter Rücken
Ein breiter Rücken arbeitet sich die Vladimirstrasse hoch – sie heisst ja heutzutage anders, aber uns älteren Semestern fällt es halt schwer, die Strassen unserer Jugend umzutaufen –, ein breiter Rücken, mit allem, was dazugehört, um es einem menschli- chen Wesen zu gestatten, sich in einer winterlichen nordischen Stadtstrasse den Augen und der Witterung auszusetzen. Ein runder, ausgebuchteter schwarzer Filzhut mit künstlerisch an- mutend breitem Rand, ein dunkler Mantel, dessen Nähte vom Alter gräulich geworden sind, gestreifte Beinkleider, «Millionenhosen», wie man sagt, violettgraue Gamaschen, Galoschen, ein Ebenholzstock mit – und vergiss hier das Wichtigste nicht – mit einer glatten Silberkrücke: Voilà, da haben wir den Herrn Direktor!
Der Rücken arbeitet sich die Vladimirstrasse hoch, der Bauch zu- vörderst, der ist süss, der ist süss, sein Bauch, der Beginn eines richtig prächtigen Bauchs, als trüge er einen Zehn-Kilo-Sack an einer Schnur hängend um den Hals vor sich her. Vorsichtig voran, katzengleich vorsichtig, jo, denn das Glatteis ist schlimmer als eine Tonne Bananenschalen, und du sollst ehren deinen Vater und deine Mutter und deine teuer erkaufte Nahrung, die sich nun in deinem Bauch zur Ruhe gelegt hat: das Buffet zuunterst, das Wiener Schnitzel darüber und zuoberst über alles drüber ein paar Klare, richtige Rachenputzer – es gibt ja auch bessere Ware im Angebot, ungepanschte Flaschen aus Frankreich und England, aber das Schlechtere hat ja auch so seine Seiten, gute Seiten, hat man sich nur erst mal daran gewöhnt. Und billiger ist es auf jeden Fall, und stärker, und die Sparsamkeit ist eine Tugend, tjaja – auch wenn man eine Runde schmeisst.
Bleibt vor dem Schaufenster des Kinderkleidergeschäfts stehen, nur um Luft zu holen, nur deshalb, sucht das Nastuch und findet ein Streichholz zuunterst in der Tasche, beginnt damit in den Zähnen zu stochern, den löchrigen, denn so reich wird man nie, als dass man jedem Schelm den Rachen vollzustopfen vermöchte, und es gibt ja passenden Kitt in der Apotheke, weh tuts auch nicht mehr, das gehörte zu den Gebresten der Jugend. Ja schau, die Jugend! Und schau, das Alter: Das hat man hier im Fenster. No, noch nicht richtig uralt, puh, nahe den Sechzigern, die trägt man mit Leichtigkeit. Hübscher Herr im Fensterglas, ja wirklich, zumindest die Kleidung, einfach, aber robust, etwas abgetragen, aber gut gebürstet, sauber soll man sein – das kostet beinahe nichts, wenn man nur mit der Seife sorgsam umgeht. Und das Gesicht? – Tja, es gibt immer Schlimmeres. Gewiss, es ist klein und rund, die Farbe rötlich, aber das ist bloss die gesunde Fär-bung der Altersgerbung, die teuerste der Welt. Bruckner, denkt Einari Kosonen, als er sein Gesicht im Schaufenster des Kinder-kleidergeschäfts inspiziert, gleiche dem Winzling Bruckner, über den man in der Musikgeschichte in der Unterweisung gehört hat, und das war ein ganz Grosser, der. Neun Symphonien, jo, oder warens zehn, und die letzte dem lieben Gott geweiht, tja-ja, weil er so religiös war, aber schau, nicht alle sind mit denselben Flü- geln gesegnet, muss auch nicht sein – man kann dennoch flattern und seinen Schöpfer preisen, obwohl man nicht komponiert. So ist das hier auf Erden, es gibt solche, die spielen Orgel, und an-dere, die sie fabrizieren, und wer weiss, wessen Verdienste am allerletzten Tag am hellsten leuchten.
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