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Ieva Simonaitytė

Vilius Karalius

 

ISBN 978-3-9524559-4-4

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Ieva Simonaitytė
Vilius Karalius
Roman
Übersetzung aus dem Litauischen: Markus Roduner, Vilnius
Baltische Bibliothek im BaltArt-Verlag – Band XI
Deutsche Erstausgabe, 1. Auflage 2019

ISBN 978-3-9524559-4-4

Preise: EU: 29 € / Schweiz: 35 CHF (plus allfällige Versandkosten) 

Titel der litauischen Originalausgabe: «Vilius Karalius», Vilnius: Alma Littera, 2011
Text: © Gina Walker, Westmount, Quebec, Kanada


Lektorat und Korrektorat: Roland Begenat, Skirsnemunė und Kirsten Skacel, Wölpinghausen
Umschlagillustration: Martynas Vilimavičius, Vilnius
Buchgestaltung: Markus Roduner, Vilnius
Druck: BALTO print UAB, Vilnius

Die Übersetzung des Buches wurde vom Litauischen Kulturinstitut, durch Stipendien vom Litauischen Kulturrat und von Pro Helvetia durch einen Beitrag an den Übersetzer gefördert.

Litauisches Kulturinstitut
Litauischer Kulturrat
Pro Helvetia

 

Der Übersetzer dankt dem Europäischen Übersetzer-Kollegium und der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia für die Unterstützung seiner Arbeit durch zwei Aufenthalte im Europäischen Übersetzer-Kollegium in Straelen.

Europäisches Übersetzer-Kollegium Straelen

Der Übersetzer Markus Roduner:

Wikipedia Deutsch

Wikiwand

«Vilius Karalius» von Ieva Simonaitytė: Litauens epochale Familiensaga neu auf Deutsch

Der nach «Der Wald der Götter» und «Partisanen» dritte bei BaltArt erschienene litauische Roman ist wiederum ein literarischer Meilenstein: «Vilius Karalius» der litauischen Nationaldichterin Ieva Simonaitytė breitet ein zeitlos wirkendes, parabelhaftes Panorama der persönlichen, familiären, religiösen, sozialen und politischen Verstrickungen und Widersprüche in der Zeitenwende vor, während und nach dem 1. Weltkrieg in Kleinlitauen/Preussisch Litauen aus. Auch wenn der Titel des Romans den Namen einer der männlichen Hauptfiguren - Vilius Karalius - trägt, so sind es doch vor allem die Frauen und ihre Schicksale, auf die die Autorin ihr Hauptaugenmerk legt. Sie sind die eigentlichen Heldinnen des Buches.
Dank dieses feministischen Blickwinkels war das Werk seiner Zeit voraus und wirkt dieses auch heute noch modern.
Der in Litauen lebende Schweizer Übersetzer Markus Roduner hat das monumentale Meisterwerk in kongenialer Weise ins Deutsche übertragen.

Das Buch

 

Das Familienepos «Vilius Karalius» – ein literarisches Denkmal für das Memelland

 

Der Roman «Vilius Karalius» ist das wichtigste und auch umfangreichste Werk der großen litauischen Erzählerin Ieva Simonaitytė – ein Epos, das die familiären Verflechtungen und die damit verbundenen menschlichen Komödien und Tragödien der Familie Karalius und ihres Umfelds erzählt. Die Handlung erstreckt sich über die ersten zwei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts und spielt im Memelland.
Das Werk legt seinen Fokus aber nicht nur auf das Schicksal dieser Familie. Vielmehr bietet es auch einen Einblick in die Geschichte und die politischen Turbulenzen dieses Landstrichs vor dem und im Ersten Weltkrieg, der bis 1918 zu Deutschland gehörte, dann unter Verwaltung des Völkerbundes stand und 1923 Litauen angegliedert wurde.
Mit viel Feingefühl für das Detail breitet Ieva Simonaitytė in »Vilius Karalius« ein ganzes Panorama der sozialen, politischen und familiären Verhältnisse der Litauer im ländlichen Memelland aus – ein Gebiet, das infolge der Wirren des Zweiten Weltkriegs und dessen Auswirkungen heute von einer weitgehend anderen Bevölkerung bewohnt wird als vor dem Krieg.
Mit »Vilius Karalius« hat Ieva Simonaitytė einer gleichenteils von Litauern und Deutschen geprägten, untergegangenen Kultur ein literarisches Denkmal ersten Ranges gesetzt.

Die Autorin

Ieva Simonaitytė wurde 1897 im ostpreußischen Dorf Wannaggen (litauisch Vanagai) als uneheliche Tochter einer Dienstmagd geboren. Mit fünf Jahren erkrankte sie an Tuberkulose. Diese Erkrankung machte ihr einen regelmäßigen Schulbesuch unmöglich, weshalb sie zu Hause von ihrer Mutter unterrichtet wurde.
1921 zog sie nach Memel (Klaipėda). Simonaitytė trat aktiv für die Rechte der litauischsprachigen Bevölkerung ein, wehrte sich gegen deren schleichende Germanisierung und nahm 1923 selbst am Aufstand zur Angliederung des Memellands an Litauen teil. Zu allen Zeiten gab es Gebiete mit einer Bevölkerung unterschiedlichster Herkunft und verschiedener Sprachen, in denen nationale Zugehörigkeit etwas Gleitendes war. Seit der Reformation war das Memelland im Gegensatz zum katholischen Großlitauen evangelisch geprägt. Die Koexistenz der Deutschen und der vom Deutschtum beeinflussten evangelischen Litauer mit ihrer innigen Frömmigkeit gab dem Memelland eine beson- dere Atmosphäre, die Simonaitytės Roman in einzigartiger Weise atmet. Dieses Zwischenland mit einem schwebenden Volkstum ging mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs unter.
Ihren Lebensunterhalt verdiente sich Simonaitytė als Maschinenschreiberin und Übersetzerin, arbeitete aber auch an ihrem ersten großen Roman »Aukštuju ̨ Šimoniu ̨ likimas« («Das Schicksal der Šimonis’ aus Aukštujai»), der 1935 erschien. Für diese Familienchronik wurde die Schriftstellerin mit dem erstmals vergebenen litauischen Staatspreis für Literatur ausgezeichnet und konnte sich von nun an ganz der Schriftstellerei widmen. Nach einer mehrmonatigen Therapie in den Waadtländer Alpen zog sie im Spätfrühling 1939 nach Kaunas, da das Memelland seit März wieder deutsch war. Im selben Jahr erschien der erste Band von »Vilius Karalius», der zweite folgte 1956. Ab 1963 lebte Ieva Simonaitytė in Vilnius. 1967 wurde ihr der Titel »Volksschriftstellerin der Litauischen SSR« verliehen. Sie starb 1978 in Vilnius. Ihr Sommerhaus in Priekulė (Prökuls) ist heute ein Museum, und die Stadt Klaipėda (Memel) vergibt seit 1987 einen Literaturpreis mit ihrem Namen.

 

Foto: Otto Lehmann, Memel, 1938, Maironio lietuviu literatūrosmuziejus, Kaunas

Textauszug

Der letzte Šalteikis aus Šalteikiai

 

Die Beerdigung

»Vilius, Vilius!«
Karaliene ̇ stand am Hoftor und sah sich um. Kein Mucks von

Vilius. Und auch sonst rundherum Stille. Beim Stall standen die Knechte herum, taten so, als würden sie das Pferdegeschirr putzen oder die Strohreste auf dem Stallvorplatz zusammenrechen. Im Sägemehl scharrten die Hühner, hinter den Weidensträuchern sonnten sich die Junggänse. Zwischen den Pfosten des Gartenzauns schoss hin und wieder ein Küken hindurch. Bienen summ- ten auf dem Rückweg vom Feld an Karalienės Ohr vorbei, flogen zum hinteren Ende des Gemüsegartens, auf einem trockenen Ast des Apfelbaums ließ sich ein paar Mal eine Drossel hören.

Von Karaliene ̇s Rufen verärgert, gurrte der Truthahn, der un- mittelbar neben ihr stand, beleidigt und lief hochrot an. Als er schließlich niemanden fand, den er hätte angreifen können, plus- terte er seine Federn auf und stolzierte in die Mitte des Hofes.

»Den Puter hätte man unbedingt einsperren sollen. Jetzt wird er den ganzen Tag lang herumlamentieren«, meinte Karalienė und wischte sich mit der Hand den Schweiß von der Stirn. Aber da fiel ihr ein: Sie hätte ja beinahe den Hemdärmel beschmutzt. Der Tag war warm, man könnte fast sagen, heiß, und es geziemte sich nicht, mit einer schmucken bunten Joppe herumzuspazieren. Deshalb hatte sie am Morgen ein festliches Kleid aus gekauftem Leinen angezogen, das nur für besondere Gelegenheiten bestimmt war.

Karalienė stellte einen Korb mit kleingeschnittenen Kalmus-Blättern und Tannenzweigen auf den Boden und griff nach der Schürze. Aber die war aus schwarzer Seide. Dann steckte sie die rechte Hand in die bunt bestickte Tasche, die unter der Schürze hervorlugte, und als sie auch dort nichts fand, kam ihr wieder in den Sinn, dass sie das Schnupftuch unter die Lastingweste gesteckt hatte. Sie zog es hervor und wischte den Schweiß vom Gesicht. Dann strich sie mit der Hand durch ihr dunkles Haar und die Zöpfe, in die grüne Bänder eingeflochten waren, zupfte den Faltenrock und die Schürze zurecht und nahm den Korb wieder zur Hand.

»Bin ich nicht schön, Kathrin?«, sagte jemand auf Deutsch.

Karaliene ̇ zuckte kurz zusammen und wandte sich um. Sie hatte gedacht, sie wäre allein. Doch da, am offenen Stubenfenster, stand Anė Tautrimienė und schaute sie an. Sie zupfte sich einzelne Haare aus, zerzauste ihren Schopf aber dabei nur immer mehr. Ihr Haar war ebenso dunkel wie Karalienės. Nur war Karaliene ̇s noch feucht und zur Schläfe hin gekämmt. Es sah aus, als wäre es verklebt, und glänzte in der Sonne.

Die beiden Frauen sahen einander ähnlich. Ovales Gesicht, ähnliche Nase – stimmt, bei Karaliene ̇ mit einem kleinen Buckel. Beider Augen waren grau. Tautrimiene ̇ hatte allerdings noch gesunde Zähne, während bei Karaliene ̇ ein Schneidezahn fehlte und die anderen gelb geworden waren. Auch der Teint ihres Gesichts. Bei Karaliene ̇ von Natur aus leicht gerötet, jetzt auch noch sonnengebräunt, glänzte es dunkel. Tautrimienės dagegen war milchig weiß. Es wirkte, als hätte es jemand mit Mehl bestäubt. Karaliene ̇ wurde den Gedanken nicht los, dass Tautrimienės Gesicht an das einer Kranken erinnerte.

Um die Hüften war Katrė Karalienė wenn nicht dick, so doch gut gebaut, Anė dagegen biegsam und dünn wie Schilfgras. Man hätte sie mit beiden Händen umfassen können. Tautrimienė strich sich über die Hüfte und glättete das eng anliegende, schwarze, raschelnde Kleid.

Karalienė konnte den in ihrem Herzen aufwallenden Neid kaum verbergen. Anė hatte gut reden. Sie kam aus der Stadt. Hatte nur ein Kind. Was könnte denn ihren Körper verunstalten? Den lieben langen Tag nur Müßiggang, viel Zeit für die Schönheitspflege.

Anė war immer noch jung, sie konnte noch Kinder bekommen. Aber . . . sie würde es nicht: »Max will keine Kinder mehr«, hatte sie einmal gesagt, als sie ihre kranke Mutter besuchen kam. Die alte Šalteikienė musste bitter weinen. »Das ist doch wie Mord, genau wie Mord!«, klagte sie. »Habe ich denn meine Tochter großgezogen, damit sie zur Mörderin wird?!« Mehr sagte sie nicht dazu, sie weinte und klagte nur immer weiter, bis sie starb.

»Wie kann man nur?!«, spöttelte Katrė.

Ane ̇ sagte nichts mehr, drehte sich nur weiter im Kreis herum und ergötzte sich am eigenen Spiegelbild im Fenster. Karaliene ̇ hielt sich eine Hand vor Augen, sah sich noch einmal um und begann erneut zu rufen:

»Vilius, Viliuk! Wohin ist nur das Kind verschwunden?!«

Alle erledigten noch schnell das Dringendste. Marike ̇ räumte auf, spülte das Geschirr, trug es in die Zimmer, deckte die Tische, der kleine Anskis half der Tagelöhnerin beim Kartoffelschälen, die Mägde liefen geschäftig hin und her. Vilius könnte doch . . . Aber rufe den mal einer herbei!

Karalienė eilte selbst mit dem Korb in der Hand in die Scheune. Schon gestern hatte man Scheunenboden und Hof mit weißem Sand bestreut. Jetzt fehlten nur noch ein paar grüne Zweige und Kalmus-Blätter, und dass das Wetter sich besserte.

Erst streute Karalienė Grünzeug auf den Boden, dann ging sie zum Sarg in der Mitte der Scheune, um zu seufzen. Dahinter entdeckte sie ihren Jüngsten, der dort saß.

»Martynuk, Kleiner«, wandte sie sich voller Erleichterung an das Kind. »Was tust du denn hier? Komm, lass uns nach Hause gehen!«

Doch der kleine Martynas stellte nur die Ellbogen auf den Rand des Sarges und verbarg sein Gesicht in den Falten der Ärmel.

»Du hast mich nicht so lieb wie Opa. Ich bleibe viel lieber bei ihm.«

»Kindchen, mein liebes Kind, du kannst doch nicht mehr lange bei ihm bleiben. Wie kannst du nur sagen, dass ich dich nicht liebhabe? Niemand hat dich so lieb wie ich. Ich bin doch dein Muttchen. Warum nur sagst du so etwas? Komm mit, ich gebe dir Süßigkeiten und Kuchen. Du weißt doch, ich habe viel Feines gebacken.«

Karaliene ̇ bückte sich und herzte den Knaben, schreckte aber sofort entsetzt zurück: Aus dem Sarg wehte Leichengeruch herbei. Der Leichnam war zu lange aufgebahrt gewesen. Trotz feuchter Tücher, trotz Kampfer, der Verfall war nicht aufzuhalten. Sommer. Aber eine frühere Beerdigung war keinesfalls möglich. Die Telegramme hatten lange bis zu ihrem Empfänger gebraucht. Es war doch der Vater, der beerdigt wurde, kein Fremder. Aus Deutschland sollte Anė kommen, erst letzte Nacht war sie mit ihrem Mann eingetroffen.

»Weißt du vielleicht, wo Vilius ist, Marčelis?«
»Weiß nicht. Ist vielleicht mit Onkel Tautrimas unterwegs.« Ach ja, jetzt kam es Karalienė wieder in den Sinn, dass er Tau-

trimas den ganzen Morgen lang auf den Fersen gefolgt war, nicht von ihm ablassen konnte.

»Beug dich nicht so weit über den Leichnam vor, Marčelis, das ist nicht gut«, ermahnte sie das Kind. Doch ihm zu sagen, der Leichnam stinke, das konnte sie nicht: Das Kind würde das auch noch nicht verstehen. Ihr Sohn tat ihr einfach leid, wie er so mit seinem Großvater sprach, als wäre er noch am Leben.

Martynas setzte sich wieder auf die Bank. Die Mutter liebkoste ihn und eilte davon. Der Leichenbestatter von Šalteikiai hatte gerade das fertige Kreuz gebracht. Karalienė blieb stehen und sah es sich an.

Das Kreuz war aus Eiche, bis zur Hälfte schwarz angestrichen. Das untere Ende hatte man hell gelassen – es würde ja sowieso im Boden vergraben; auf dem Querbalken stand in gotischen Lettern geschrieben, dass hier Adomas Šalteikis in Gott ruhe ...

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